Ein bewegender Abend zwischen Trauer, Trost und Triumph – Nino de Angelo startet seine „Irgendwann im Leben“-Tournee vor rund 1.200 Fans mit Emotion, Haltung und großer Stimme
Hannover. Der Kuppelsaal der niedersächsischen Landeshauptstadt ist nicht ausverkauft, aber voll genug, um eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. Rund 1.200 Fans haben sich an diesem Abend eingefunden, um Nino de Angelo live zu erleben – einen Sänger, der in den letzten Jahren wie kaum ein anderer mit seiner Vergangenheit aufgeräumt, sich musikalisch neu erfunden und nun mit dem Album „Irgendwann im Leben“ erneut auf die Bühnen zurückgekehrt ist. Doch der Tourauftakt, der ursprünglich einen Tag vorher in Leipzig stattfinden sollte, steht unter einem düsteren Vorzeichen: Ein tragischer Unfall beim Bühnenaufbau in der Quarterback Immobilien Arena forderte das Leben eines Mitarbeiters – de Angelo sagte das Konzert kurzfristig ab.
Der Abend in Hannover wird dadurch mehr als nur ein Konzert. Es ist ein Akt der Würdigung, ein Moment des Innehaltens, eine stille, aber kraftvolle Widmung an das Leben – und auch an den Tod.
Stille Worte, laute Gefühle
Als de Angelo nach sechs kraftvollen Songs inne hält und mit ernster Stimme das Wort ergreift, herrscht im Kuppelsaal absolute Ruhe. „Was gestern passiert ist, ist so schlimm. Ich kannte ihn nicht, er war nicht Teil unserer Crew, aber er gehörte zu uns. Wir waren alle tief bestürzt. Ich hoffe, er ist jetzt an einem besseren Ort“, sagt er sichtlich bewegt. Der Beifall ist zustimmend, warm, tröstend – und zeigt: Publikum und Künstler stehen sich hier nicht gegenüber, sondern nebeneinander.
Später, kurz vor der Zugabe, kommt er noch einmal darauf zurück: „Es tut uns unendlich leid. Aber ihr habt uns heute Abend eine Last abgenommen. Danke, dass ihr hier seid.“ Es sind diese kleinen Sätze, die den Abend prägen. Keine großen Gesten, sondern ehrliche Menschlichkeit. In Zeiten, in denen so vieles inszeniert wirkt, ist das fast schon radikal.
Rock statt Routine: Ein Set mit Seele
Musikalisch zeigt sich Nino de Angelo so kraftvoll wie nie. Schon der Opener „Irgendwann im Leben“ entfaltet im akustisch brillanten Kuppelsaal seine volle Wucht. Die Band, neun Musiker stark, agiert druckvoll, präzise und dennoch voller Gefühl. Der Sound ist klar, der Lichtteppich stimmungsvoll, ohne Effekthascherei. Es geht nicht darum, zu blenden – sondern zu berühren.
Songs wie „Da wo mein Herz brennt“ oder „Mein Kryptonit“ leben von dieser neuen, rockigen Seite de Angelos. Zwischen den Liedern erzählt er – mal ernst, mal augenzwinkernd – von seinem Leben, von Abstürzen, Umbrüchen und Neuanfängen. Dabei ist er seinem Publikum spürbar zugewandt, reagiert auf Zurufe, lacht, macht sich selbstironisch über seine Vergangenheit lustig und bringt dann wieder Zeilen, die das Herz schwer machen.
Altes hinter sich lassen – und doch nicht ganz
„Ich singe die alten Lieder nicht mehr – sie berühren mich nicht mehr“, sagt er an einer Stelle. Es ist ein klarer Bruch mit dem Schlagerimage vergangener Jahrzehnte. De Angelo will nicht nostalgisch sein – er will echt sein. Und trotzdem macht er am Ende eine Ausnahme: Als die ersten Töne von „Jenseits von Eden“ erklingen, geht ein Raunen durchs Publikum, das sich sofort in kollektives Mitsingen verwandelt. Der Evergreen von 1983 hat nichts von seiner Magie verloren – und passt mit seiner Melancholie überraschend gut in das neue musikalische Gewand.
Auch hier gelingt de Angelo das Kunststück, das Alte zu würdigen, ohne sich ihm unterzuordnen. Der Song klingt kraftvoller, reifer – fast wie eine neue Interpretation seiner selbst.
Authentizität als Leitmotiv
Viele Lieder an diesem Abend stammen von den letzten Alben, besonders von „Gesegnet und verflucht“ und dem aktuellen „Irgendwann im Leben“. Beide Werke sind autobiografisch gefärbt, handeln von inneren Dämonen, Verlusten, Rückfällen – und vom immer wieder Aufstehen. De Angelo singt diese Lieder nicht, er lebt sie. Man spürt: Hier steht einer auf der Bühne, der all das selbst durchlitten hat.
„Zeit heilt keine Wunden“ – diese Zeile bekommt in diesem Kontext eine neue Dimension. Doch vielleicht, das zeigt dieser Abend, kann Musik ein Verband sein, ein Licht in dunklen Zeiten.
Ein bewegender Tourstart mit Tiefgang
Der Tourauftakt von Nino de Angelo in Hannover war alles andere als Routine. Es war ein Abend voller Emotionen, getragen von einer Band, die sensibel und doch kraftvoll agierte, und einem Sänger, der sich und seinem Publikum nichts vormachte. Der tragische Unfall von Leipzig schwebte wie ein stiller Schatten über dem Abend – doch de Angelo und seine Crew haben diesen Schatten nicht verdrängt, sondern ihm Raum gegeben. Das machte den Abend nicht nur besonders, sondern tief berührend.
Wer diese Tour erleben darf, wird nicht nur unterhalten, sondern mitgenommen – auf eine Reise durch Abgründe, Höhenflüge und ehrliche Menschlichkeit. Der Kuppelsaal Hannover war der richtige Ort für diesen Auftakt: nicht nur wegen der exzellenten Akustik, sondern wegen der Intimität, die dieser Saal trotz seiner Größe erlaubt. Ein würdevoller Beginn einer Tour, die unter die Haut geht.
KÜNSTLERPORTRÄT NINO DE ANGELO – ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE
Nino de Angelo ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschsprachigen Musikszene – nicht wegen makelloser Karrieren oder glatter Biografie, sondern gerade wegen all der Brüche, Abstürze und Comebacks, die ihn zu dem Künstler gemacht haben, der er heute ist. Kaum einer hat so viele Leben gelebt wie er. Und kaum einer hat all das so ehrlich in Musik verwandelt.
Vom Popstar zum Getriebenen
Geboren 1963 als Domenico Gerhard Gorgoglione in Karlsruhe, wurde de Angelo Anfang der 1980er-Jahre über Nacht zum Star. Mit „Jenseits von Eden“ gelang ihm 1983 der Durchbruch – eine Synthese aus Italo-Pop, deutschem Schlager und Weltschmerz, die den Nerv der Zeit traf. Es folgten Charterfolge, TV-Auftritte, Fanmassen. Doch mit dem Ruhm kamen auch die Dämonen: Alkohol, Drogen, gescheiterte Beziehungen, gesundheitliche Rückschläge – ein Leben zwischen Licht und Schatten.
Immer wieder versuchte er, sich neu zu erfinden, aus dem Schlagerkorsett auszubrechen. Doch der Stempel saß tief. Und doch: Nino de Angelo blieb. Er verschwand nie ganz, auch wenn die große Bühne ihn zeitweise verließ.
„Gesegnet und verflucht“ – das musikalische Bekenntnis
Mit dem 2021 erschienenen Album „Gesegnet und verflucht“ gelang ihm nicht nur ein Comeback, sondern eine künstlerische Wiedergeburt. Der Titel ist Programm: De Angelo rechnet ab – mit sich selbst, mit der Industrie, mit den falschen Freunden und richtigen Schmerzen. Es ist das Werk eines Mannes, der nichts mehr beweisen muss, aber endlich ehrlich sein will. Rau, rockig, kantig – weit weg vom Schlager, näher an Udo Lindenberg als an Roland Kaiser.
Das aktuelle Album „Irgendwann im Leben“ knüpft daran an, wirkt aber versöhnlicher. Noch immer ist da der Schmerz, die Erinnerung, der Verlust. Aber da ist auch Hoffnung, neue Kraft, eine gewisse Gelassenheit. Nino de Angelo ist nicht mehr auf der Flucht – er ist angekommen, auch wenn der Weg dorthin lang und steinig war.
Ein Künstler mit Kanten – und mit Herz
Live zeigt sich de Angelo als authentischer Performer. Kein glattgebügelter Entertainer, sondern ein Mensch, der das Singen nicht nur beherrscht, sondern braucht. Seine Stimme – rau, markant, voller Leben – ist sein Kapital und seine Waffe. Und seine Geschichten, so dunkel sie oft auch sind, machen ihn nahbar.
Was ihn heute auszeichnet, ist sein Mut zur Wahrheit. Während viele in der Branche auf Nummer sicher gehen, geht er ins Risiko – musikalisch wie persönlich. Er zeigt Schwäche, und das macht ihn stark.
Der Mann, der sich selbst überlebt hat
Nino de Angelo ist kein einfacher Künstler – aber ein echter. Ein Sänger, der gefallen ist und wieder aufgestanden ist. Einer, der von sich selbst sagt: „Ich bin gesegnet und verflucht.“ Doch genau dieser Zwiespalt macht ihn interessant, macht ihn relevant – heute mehr denn je. Und wenn er auf der Bühne steht, vor Menschen singt, denen er etwas zu sagen hat, dann ist da kein alternder Star mit Schlagervergangenheit. Dann ist da ein Musiker, der seine Geschichte erzählt – laut, ehrlich und mit Herz.