Ein Frühlingserwachen mit elektronischer Geschichte
Hamburg, 12. April 2025 – Der Frühling liegt in der Luft, und mit ihm weht ein Hauch elektronischer Ewigkeit durch die Straßen rund um die prachtvolle Laeiszhalle. Wer an diesem Abend einen Platz in dem ehrwürdigen Konzertsaal ergattert hat, erlebt weit mehr als ein Konzert. Tangerine Dream, das elektronische Urgestein um den heutigen Mastermind Thorsten Quaeschning, verwandelt die Bühne in ein Klanglabor voller Resonanz, Energie und Emotion.
Der Raum hat einen eigenen Ton – und er klingt nach Magie
Schon vor dem ersten Ton macht Quaeschning klar, dass dieser Abend mehr wird als ein nostalgischer Blick zurück. Er spricht davon, dass jeder Raum seine eigene Resonanz habe – und in der Laeiszhalle sei es die Tonart a-Moll, die im Mittelteil des Konzerts, der sogenannten “Hamburg Session”, dominieren werde. Die Reaktion des Publikums ist sofort körperlich spürbar, als der erste Bass die Halle durchdröhnt. Klang wird Raum, Raum wird Körper, Körper wird Klang.
Ein technisches Panorama zwischen Museum und Zukunft
Das Setting auf der Bühne gleicht einem hochentwickelten Tonstudio. Unzählige Synthesizer stehen im Vordergrund, auf der Rückseite ragen Geräte auf, die aussehen, als hätten sie schon in Froeses Gründungsjahren ihren Dienst getan. Wild blinkend, mit Kabeln durchzogen, entwickelt sich ein technisches Panorama, das sowohl nach Museum als auch nach Zukunft klingt.
Von Jarre bis Floyd – eine atemberaubende Klangmischung
Musikalisch ist der Abend atemberaubend. Tangerine Dream präsentieren eine Mischung aus Jean-Michel Jarre, Pink Floyd, Synthi-Pop und treibenden elektronischen Rhythmen. So exakt und klar klingen die Tracks, dass man meinen könnte, hier laufe ein Stick mit Studioaufnahmen. Doch der Clou ist: Alles passiert live. Man sieht den Musikern bei der Arbeit zu. Wie sie klangliche Wellen aufbauen, modulieren, zerstören, neu zusammensetzen. Jeder Ton ist Teil eines komplexen Gefüges, in dem Struktur und Spontanität perfekt harmonieren.
55 Jahre Musikgeschichte – destilliert in 15 Stücken
Die Setlist ist ein Trip durch 55 Jahre Bandgeschichte – von Klassikern wie „Phaedra“ und „Love On A Real Train“ bis hin zu aktuellen Tracks aus dem 2022 erschienenen Album “Raum”, darunter “Portico”, “Continuum” und “You’re Always On Time”. Immer wieder durchziehen rhythmische Sequenzer die Flächen, unterlegt von technoiden Grooves, die stellenweise tanzbar wirken, ohne je ins Banale zu kippen.
Emotion in der Technik – wenn Maschinen Herzen berühren
Dabei gelingt es Tangerine Dream, trotz aller technischen Raffinesse, stets menschlich zu bleiben. Das liegt nicht nur an der sympathischen Ausstrahlung Quaeschnings, sondern auch an Hoshiko Yamanes elektrifizierter Violine, die inmitten der kalten Elektronik für emotionale Höhepunkte sorgt, sowie an Paul Fricks spielerischer Leichtigkeit am Piano und an den Synthesizern.
Optik im Schatten – Musik im Licht
Die Visuals? Eher minimalistisch. Eine große Leinwand im Hintergrund zeigt Projektionen – mal geometrisch, mal psychedelisch, mal kosmisch entrückt. Licht gibt es wenig, viel Nebel hängt in der Luft. Die Gesichter der Musiker bleiben oft im Dunkel. Doch auch das hat Methode. Die Musik steht im Vordergrund, nicht das Spektakel. Tangerine Dream zelebrieren Klang, nicht Pose.
Die “Hamburg Session” – pure Improvisation, pure Magie
Und dann ist da die “Hamburg Session”. Eine gut 40-minütige Improvisation, getragen von der zuvor ermittelten Raumresonanz c-Moll. Hier hebt das Trio endgültig ab. Quaeschning verliert sich lächelnd in seinem Klanguniversum, Frick tanzt wie in Trance, Yamane zieht sphärische Linien mit ihrem Bogen. Alles fließt. Es ist der emotionale Kern des Abends – roh, lebendig, frei.
Applaus für die Ewigkeit – Tangerine Dream versprechen Rückkehr
Als das letzte Stück verklingt, stehen die Menschen. Standing Ovations. Nicht höflich, sondern voller echter Begeisterung. Nach einem weiteren, kürzeren Zugabenset kehren Tangerine Dream nach über zweieinhalb Stunden endgültig ins Off zurück. Quaeschning kündigt noch an, dass Hamburg für die Band zu den “Top-3-Tour-Städten” gehöre – und man im kommenden Jahr wiederkommen werde.
Ein Versprechen, das die Fans mit leuchtenden Augen quittieren. Denn dieser Abend war kein Konzert. Er war ein Ereignis. Eine Klangreise durch Jahrzehnte, Genres und Gefühlsebenen. Tangerine Dream in der Laeiszhalle – das war elektronische Ekstase in Reinform. Und ein Frühlingserwachen für die Seele.
Fotos: Lars Peters / Music-Pics.de