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Kein Firlefanz: Slipknot liefern in Hannover 90 Minuten Vollgas

Es gibt Konzerte, bei denen man den Spannungsbogen spürt. Die sich aufbauen, dramaturgisch zuspitzen, eine Geschichte erzählen wollen. Und dann gibt es Slipknot. Am Dienstagabend auf der Expo-Plaza in Hannover lieferten die maskierten Ikonen aus Des Moines, Iowa eine 90-minütige Lehrstunde in Sachen Live-Wucht: direkt, kompromisslos, ohne Schnörkel. Ein Konzert ohne dramaturgische Kurven, aber mit maximaler Wirkung.

15.000 Maggots – so nennt sich die eingeschworene Slipknot-Fangemeinde – feierten eine Show, die nicht nachfühlte, sondern vorgab. Keine zwei Stunden, keine Showeinlagen, kein Pathos – sondern eineinhalb Stunden Vollkontakt-Metal, mitten ins Gesicht.

Polaris & Motionless in White: Keine bloße Pflicht

Der Abend begann mit einem klaren Statement im Vorprogramm. Polaris, Metalcore-Band aus Sydney, spielte ein überzeugendes Set: melodische Breite, technische Präzision, ordentlich Druck auf der Kette. Ein Support-Act, der sich nicht verstecken muss.

Motionless in White aus Pennsylvania übernahmen nahtlos: düsteres Industrial-Styling trifft auf Metalcore mit gothischen Untertönen. Frontmann Chris Motionless steuerte routiniert durch ein Set, das auch optisch zur Hauptband passte – aggressiv, visuell dunkel und durchgetaktet. Das Publikum nahm beides respektvoll auf – kein klassisches „Wir warten auf den Headliner“-Verhalten, sondern eine durchweg wache Menge, bereit für den Hauptgang.

Slipknot übernehmen ohne Ansage – und drehen direkt auf

Ohne Vorhang, ohne Pyro, ohne Showstart mit Effekt: Slipknot kamen einfach raus und machten ernst. Nach dem augenzwinkernden TV-Intro mit dem „Knight Rider Theme“ und dem düsteren Tape „742617000027“ legten sie um 20:15 Uhr los – ohne Vorwarnung, ohne Warm-up-Phase. Der Opener „(sic)“ schnitt direkt ins Set. Und das Publikum? Mitten drin.

Mit „People = Shit“ ging es nahtlos weiter – ein Doppelschlag, der die Richtung vorgab: Oldschool, roh, laut. Keine Lichtshow, keine überflüssigen Ansagen. Nur ein massives Brett nach dem anderen.

Corey Taylor dirigierte die Menge wie gewohnt mit knappen Kommandos: „Get your motherfucking hands in the air!“ – und wenn’s nicht laut genug war: „I can’t fucking hear you!“. Keine übertriebenen Motivationssprüche, sondern klare Kommunikation. Taylor wusste genau, was das Publikum brauchte – und gab es ihm.

Setlist: 14 Songs, keine Sekunde verschenkt

Slipknot haben den Luxus, aus einem inzwischen riesigen Songkatalog wählen zu können. In Hannover entschieden sie sich für eine Setlist, die Fan-Wünsche erfüllte und trotzdem Ecken zeigte. Keine Greatest-Hits-Revue, sondern ein klug kuratierter Querschnitt:

Slipknot Setlist Expo-Plaza, Hanover, Germany, Europe 2025

 

Bemerkenswert: Mit „Tattered & Torn“ und vor allem „Scissors“ gruben Slipknot tief in der eigenen Diskografie. Letzteres, ursprünglich auf dem 1999er-Debüt erschienen, kam mit seiner düsteren Dynamik als Abschluss völlig ohne Feuerwerk oder Abschiedsballade aus – ein kluger Schlusspunkt. Die Stücke der letzten Dekade wie „Nero Forte“, „Yen“ oder „Unsainted“ fügten sich nahtlos ein – die Band lebt nicht nur von früher.

Ein neues Herzstück: Eloy Casagrande am Schlagzeug

Für Fans war es eine der spannendsten Fragen: Wie würde sich Eloy Casagrande, ehemaliger Drummer von Sepultura, ins Slipknot-Gefüge einfügen? Die Antwort: eindrucksvoll. Was Casagrande am Schlagzeug liefert, ist mehr als solides Handwerk – es ist ein kraftvoller, eigenständiger Puls, der die Band sichtbar antreibt.

Ohne Joey Jordisons Stil zu imitieren, bringt er neue Schärfe ins rhythmische Fundament. Präzise, schnell, aber auch mit viel Kontrolle in den dynamischen Übergängen – ein Gewinn für die Live-Präsenz der Band.

Ohne Clown, aber mit voller Wucht

Nicht an Bord: Shawn „Clown“ Crahan, Slipknots langjähriger Perkussionist und Gründungsmitglied. Corey Taylor informierte das Publikum nüchtern über dessen Fehlen – familiäre Gründe, keine große Erklärung, kein Ersatz. Stattdessen acht Musiker auf der Bühne, die die Lücken nicht zu überspielen versuchten, sondern mit Präzision füllten.

Mick Thomson glänzte durch sein gewohnt stoisches Spiel mit tonnenschweren Riffs, Sid Wilson sorgte zwischen DJ-Pult, Klettereinlage und verzerrtem Scratch für die elektronische Signatur – Slipknot live ist mehr als Musik, es ist ein kontrollierter Ausnahmezustand.

Keine Show, kein Spektakel – nur Slipknot

Dieses Konzert war keine Inszenierung. Kein Rückblick auf bessere Zeiten. Kein Versuch, etwas zu beweisen. Slipknot 2025 auf der Expo-Plaza war schlicht ein brachial ehrliches Live-Erlebnis – 90 Minuten, nichts weiter, nichts weniger.

Kein Firlefanz. Kein Overhead. Kein Stadionpathos. Nur 15.000 Menschen, die sich freiwillig die Köpfe freiblasen lassen wollten – und genau das bekommen haben.

Wer es verpasst hat, bekommt noch zwei Chancen in Deutschland:

  • 19. Juni 2025 – Festhalle Frankfurt

  • 23. Juni 2025 – Waldbühne Berlin

Für beide Shows sind aktuell noch Resttickets erhältlich unter www.eventim.de. Wer in Hannover dabei war, wird nicht zweimal überlegen. Und wer es nicht war, sollte sich überlegen, ob er sich ein derart kompromissloses Live-Erlebnis entgehen lassen will.