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TOOL live in Hannover – Ein hypnotischer Sturm aus Klang, Licht und Seele

Wenn ein Konzert alles verändert.

Es gibt Konzerte, bei denen man mitsingt, mitklatscht, vielleicht sogar ein Bier über den Nachbarn schwappt. Und dann gibt es Abende wie diesen. TOOL in der ZAG Arena Hannover am 25. Mai 2024 war kein Konzert – es war ein verdammtes Erdbeben aus Klang, ein cineastisches Ritual, eine Zeremonie zwischen Trance, Wut, Erleuchtung und Wahnsinn. 9.000 Fans wurden nicht einfach bespielt – sie wurden absorbiert. Und zurück blieb ein kollektiver Schwindel aus Ehrfurcht, Gänsehaut und Sprachlosigkeit.

Stille vor dem Sturm – kein Handy, keine Ablenkung, nur Fokus

Schon vor dem ersten Ton liegt eine ungeheure Spannung in der Luft. Kein Gewusel vor dem Merch-Stand, keine gleißenden Displays – TOOL haben ein eisernes Gesetz: Handys bleiben aus. Wer es doch versucht, fliegt. Punkt. Und plötzlich passiert etwas, das man bei modernen Konzerten kaum noch kennt: Die Leute reden miteinander. Flüstern. Warten. Fühlen. Es ist, als würde die ZAG Arena kollektiv den Atem anhalten. Und als das rauschende Intro Third Eye einsetzt, sind alle Sinne auf Empfang geschaltet. Kein Bild, kein Video – nur Klang, Licht, Atmosphäre. Und das ist gut so. Denn was jetzt folgt, ist nichts für nebenbei.

Ein Sound, so präzise wie ein Skalpell, so gewaltig wie ein Mahlstrom

Ohne jede Begrüßung, ohne Geste ans Publikum, startet TOOL mit Jambi – und schleudert die ersten schweren Riffs wie Blitze durch die Arena. Adam Jones’ Gitarre schneidet messerscharf durch die Luft, Justin Chancellor lässt den Boden mit seinem Bass vibrieren und Maynard James Keenan? Der bleibt im Schatten. Wie immer. Keine Rampensau, kein Rockstar, sondern der geheimnisvolle Priester eines dunklen Klangaltares. Und am Schlagzeug: Danny Carey. Ein Koloss. Ein verdammter Uhrmacher der Apokalypse.

Als Fear Inoculum beginnt, breitet sich ein orchestrales Grollen aus, das bis in den Magen fährt. Der Sound ist so klar, so brutal präzise, dass es einem fast die Tränen in die Augen treibt. Und das ist erst der Anfang.

Ein Strudel aus Raum und Zeit: TOOL ziehen dich rein, ob du willst oder nicht

Mit Rosetta Stoned (inklusive des sphärisch-düsteren Intros Lost Keys) nehmen TOOL endgültig Kurs Richtung Paralleluniversum. Der Rhythmus schiebt, zieht, windet sich, explodiert – und dann ist da wieder diese Leere. Dieses Warten auf den nächsten Takt, das nächste Donnern, das nächste Klangbild. TOOL spielen nicht einfach Songs – sie bauen Kathedralen aus Tönen.

Pneuma, Descending, The Grudge – jeder Track ist ein eigenes Kapitel, jede Minute ein wuchtiges Gemälde aus Riffs, Bassläufen, Percussion und Visuals. Die gigantische LED-Wand flackert, flimmert, brennt sich in die Netzhaut. Geometrische Formen, organische Wellen, surreale Videos – alles greift ineinander. TOOL ist eine Band, die dich nicht unterhalten will. Sie wollen, dass du dich verlierst. Und genau das passiert.

Kein Moshpit. Kein Chaos. Nur totale Hingabe

Es ist ein ungewöhnliches Bild: 9.000 Rock- und Metal-Fans auf festen Sitzplätzen. Keine Circle Pits, keine fliegenden Becher. Stattdessen: starre Körper, gespannte Mienen, offene Münder. TOOL zwingen dich zur Konzentration – mit jeder Note, jedem Break, jedem Lichtblitz. Die Musik verlangt Respekt. Und sie bekommt ihn.

Maynard bleibt meist unsichtbar. Kein Smalltalk, kein Posen. Aber wenn er singt – nein, wenn er flüstert, schreit, säuselt – ist alles andere egal. Seine Stimme ist ein weiteres Instrument, geisterhaft, mächtig, tief. Manchmal denkst du, sie kommt nicht vom Menschen. Und das macht diese Band so einzigartig: Sie funktionieren wie eine gut geölte Kriegsmaschine, aber klingen dabei wie der Soundtrack eines Albtraums, den du nie wieder vergessen willst.

Intermission – Die kurze Stille vorm nächsten Gewitter

Nach rund 70 Minuten flackern die Lichter leicht auf. TOOL machen Pause. Exakt zwölf Minuten. Kein Schnickschnack. Keine Animation. Einfach: runterkommen. Luft holen. Verarbeiten. Du brauchst das. Denn was jetzt kommt, ist nichts anderes als eine Machtdemonstration.

Chocolate Chip Trip – Schlagzeuggott Danny Carey, live aus seinem Cockpit

Zurück auf der Bühne entfesselt Carey eine Performance, bei der du einfach nur dastehst und mit offenem Mund staunst. Chocolate Chip Trip ist kein normales Drumsolo. Es ist ein komplexes, wildes, elektronisch unterfüttertes Inferno, das über eine POV-Kamera direkt auf den Screen übertragen wird. Du siehst durch seine Augen, wie er schlägt, hämmert, wirbelt, zaubert. Dieser Mann ist nicht nur Drummer – er ist ein verdammter Alchemist.

Finale mit der Wucht eines Vulkanausbruchs

Flood reißt dich danach sofort wieder in die dunklen Tiefen des frühen TOOL-Kosmos. Dreckig, schwer, bedrohlich. Und mit Invincible wird es dann wieder episch – zehn Minuten durchkomponierte Schönheit, Melancholie, Klanggewalt. TOOL erzählen hier vom Altern, vom inneren Krieger, der nicht aufhören will zu kämpfen. Die Halle tobt. Und dann: Stille.

Doch es ist nur die Ruhe vor dem letzten Knall. (-) Ions, ein schrilles, krachendes Interlude, kündigt den Abschluss an. Und der hat es in sich: Stinkfist. Einer der größten TOOL-Klassiker, endlich. Und zum ersten Mal dürfen jetzt alle Fans die Handys zücken. Die Arena leuchtet auf, aber nicht wie bei einem Popsong mit tausend blendenden Bildschirmen – es ist respektvoll, fast ehrfürchtig. TOOL gönnen den Menschen diesen Moment. Und sie wissen: Niemand hier wird je vergessen, was er gerade gesehen und gehört hat.

TOOL – Musik für die Ewigkeit, nicht für den Moment

Wenn man versucht, TOOL in Worte zu fassen, scheitert man immer ein Stück weit. Diese Band sprengt jede Schublade, jedes Genre, jede Erwartung. Sie sind laut, leise, hart, zart, brutal, spirituell – alles gleichzeitig. Und live sind sie eine Naturgewalt, der man sich nur ergeben kann. Kein anderer Act verbindet technisches Können, künstlerische Vision und emotionale Tiefe so kompromisslos.

Fazit: TOOL in Hannover war kein Konzert. Es war ein monumentales Klangritual. Eine Meditation im Donner. Eine seelische Grenzerfahrung. Für viele war es der beste Gig ihres Lebens – und das völlig zu Recht. Wer hier dabei war, wurde nicht einfach unterhalten. Er wurde verwandelt.

Setlist TOOL – 25.05.2024, ZAG Arena Hannover

Intro: Third Eye

  1. Jambi
  2. Fear Inoculum
  3. Rosetta Stoned (mit „Lost Keys“-Intro)
  4. Pneuma
  5. Intolerance
  6. Descending
  7. The GrudgePause (12 Minuten)
  8. Chocolate Chip Trip (mit Danny Carey POV-Cam)
  9. Flood
  10. Invincible
    (-) Ions
  11. Stinkfist