Ein verschlafener Ort wird zum Festival-Mekka
So wie jedes Jahr erwacht der leicht verschlafene Ort Scheeßel und verwandelt einige Felder in das seit nahezu 30 Jahren bestehende Hurricane Festival. Mit einem geladenen Lineup beginnt das Musikfestival am Donnerstag mit einem Warmup-Programm. Mit dabei sind unter anderem „Raum27“ und „Fatoni, Edgar Wasser & Juse Ju“. Erstere feierten ihr Hurricane-Debüt mit einem Set, das sehr gut ankam. Sie stimmen schon mal auf das kommende Wochenende ein.
Festivalstart mit Tradition und Traumwetter
Traditionell wird das Festival am Freitag vom „#HURRICANESWIMTEAM“ eröffnet, welches sich 2016 nach dem starken Unwetter gründete, um den Besuchenden die Sicherheitsmaßnahmen musikalisch näherzubringen. Im Gegensatz zu besagtem Unwetter herrschen ideale Partybedingungen. 25°C, blauer Himmel und keine Regenwolke weit und breit. Eigentlich untypisch für das Festival, das den Namen eines starken Unwetters trägt.
Indie, Metal und gemischte Gefühle
Olli Schulz und „DJO“ begeistern mit Indie Rock. „Biffy Clyro“ heizten mit ihrem einzigartigen, progressiven Indie die Main Stage ordentlich ein, wonach sich die allermeisten direkt zu „Rise Against“ begaben, die die „River Stage“ so richtig abrissen. „Motionless in White“ konnte spontan das Hurricane leider doch nicht antreten, wurden aber gebührend von den „Leoniden“ vertreten. Die aus Marseille stammende Metalband „LVNDMVRKS“ brachte harten Metalcore-Sound auf die „Mountain Stage“. Einzigartig ist, dass Sänger Florent Salfati live auf der Bühne ein Graffiti sprühte.
Für viele ein Highlight, zeitgleich aber auch eine kleine Enttäuschung, war „Alligatoah“, der viele neuere Songs mit Metal/Punk-Einflüssen spielte und dabei scheinbar etwas gelangweilt von seinem eigenen Publikum schien. Am Ende des Sets performte er dennoch die bekannten Lieder. So endete der schöne warme Sommerabend mit guter Laune und heiserer Stimme.
Olli Schulz & Band
DJO
Von Wegen Lisbeth
Biffy Clyro
Rise Against
Landmvrks
Alligatoah
Der Samstag bringt Hitze, Moshpits und Konfetti
Wärmer – manche würden sagen zu warm – startete der Samstag ebenfalls ohne Aussicht auf Wolken und Regen. Ins Schwitzen kamen viele dann bei „Irie Révoltés“. Punk/Dancehall und Hip-Hop mit teils französischen Texten genießt man am besten aus dem Moshpit. Ähnlich politisch wurde es bei „Blond“, die mit vielen Kostümwechseln, feministischen Texten und unfassbarer Energie den Staub so richtig zum Aufwirbeln brachten.
Newcomer „Zartmann“ zog einen ungemeinen Ansturm auf die zweitkleinste Bühne des Festivals mit sich. Nach eigenen Angaben sei dies sein größter Auftritt bis dato gewesen.
Electric Callboy, Prodigy und Apache: Von Party bis Polarisierung
Headliner „Electric Callboy“ lieferten bis in den Sonnenuntergang eine Performance ab, die sich gewaschen hat. Mit viel Konfetti und Pyrotechnik begeisterten sie mit ihrem einzigartigen Musikstil. Zitat einer erstmaligen Zuschauerin: „Bei denen muss ich mich ja gar nicht für eine Musikrichtung entscheiden: Metal, Schlager, Pop und Elektro – da ist ja alles mit drin.“
Krass auf andere Art und Weise ging es mit Elektropunk von „The Prodigy“ weiter. Hier kamen durch ihre Lasershow und ihre unbeschreibliche Bühnenpräsenz zumindest alle visuell auf ihre Kosten. Musikalisch steckten sie ebenfalls viele zum Tanzen an, auch wenn viele ihren Stil als gewöhnungsbedürftig deklarieren.
Deutschrapper „Apache 207“ schloss den Abend ab.
Irie Révoltés
Blond
Jimmy Eat World
070 Shake
Swiss & Die Andern
Wet Leg
Antilopen Gang
Sam Fender
Sonniger Sonntag mit Staub, Emotionen und Kontrasten
Bratende Hitze prägte den Start in den Sonntag, bei dem viele nochmal ihre letzten Energiereserven aktivieren mussten, um nicht im schattigen Camp zu versacken. Die Wetter-Apps sagen eine 50-prozentige Regenwahrscheinlichkeit am Abend voraus. Völlig undenkbar bei dem Wetter. „Wird bestimmt an uns vorbeiziehen“, ist der Konsens auf dem Zeltplatz.
Eine Staubwolke verdeckte über „Royal Republic“ den Himmel so sehr, dass man die benachbarten Bühnen nicht mehr sehen konnte. Der Anblick von FFP2-Masken in den Gesichtern mancher, die sich vor dem Staub schützen wollten, erinnerte an eine festivalfreie Zeit. Erinnerungen an die Pandemie gingen im nahtlosen Übergang zur australischen Garage-Punk-Gruppe „Amyl and the Sniffers“ verloren. Sängerin Amy Taylor erinnert vom Aussehen an eine junge Barbara Schöneberger, weshalb das visuelle Bild der rotzigen Punkerin zum Schmunzeln anregt.
Von Tränen zu Tanz – zwischen Berq und Nina Chuba
Der Himmel über Scheeßel beginnt langsam aber sicher, die ersten Wolken zu zeigen. Ob die 50-prozentige Regenwahrscheinlichkeit am Abend doch eintrifft? Viele unterschiedliche Einschätzungen auf dem Zeltplatz.
Solokünstler und ebenfalls Newcomer „Berq“ fährt die Tanz-Energie kontrastreich herunter. Flügel, Cello und Geige, gepaart mit seinem charakteristischen Gesang ergeben eine sphärische Erfahrung, die für solch ein Festival eigentlich eher ungewöhnlich ist. Tiefgründige Texte berühren viele so sehr, dass sie in Tränen ausbrechen. So viele weinende Menschen auf einem Fleck gibt es sonst selten zu beobachten – vor allem auf dem Hurricane.
Eine 180°-Kehre erlebt man bei „Nina Chuba“. Viele grinsende, lauthals mitsingende und tanzende Menschen erfreuen sich an den positiven Vibes. Hits wie „Wildberry Lillet“ werden von ca. 40.000 Menschen mitgesungen, was die junge Künstlerin sichtlich berührt. Es beginnt für einen kurzen Augenblick zu regnen, hört aber nach 10 Minuten wieder auf. Eine willkommene Abkühlung für die meisten.
Unwetterwarnung, Evakuierung und ein finales Feuerwerk
Jan Böhmermann und das „RTO Ehrenfeld“ bieten einen unfassbaren Klangteppich mit satirisch-politischen Texten und einen Gastauftritt von Merlin Sandmeyer aka „Jonas Schulze“, der den Ladendetektiv aus „Die Discounter“ spielt.
Doch dann ein Flashback zu einigen Hurricanes zuvor: Festivalabbruch wegen Unwetterwarnung. Das gesamte Hurricane folgt den Anweisungen der Veranstalter und begibt sich in die Autos, einige reisen präventiv ab. Viele Blitze verzieren den Himmel über Scheeßel, ein paar Schauer gibt es auch.
Nach einigen Stunden dann die Entwarnung: „SDP“ und „Green Day“ treten mit einiger Verspätung dennoch auf. Mit vielen Punk-Klassikern und einem abschließenden „Good Riddance“ – untermalt von Feuerwerk – schickt Sänger Billie Joe Armstrong von „Green Day“ knapp 80.000 Besuchende in die After-Festival-Melancholie.
Bis nächstes Jahr, Hurricane!