Ein Abend wie ein offener Brief an die Fans: hautnah, akustisch, aufrichtig. Skunk Anansie zeigen in Hannover, wie roh, verletzlich und gewaltig leise Töne sein können.
stars@ndr2 – mehr Nähe geht nicht
Es war kein gewöhnlicher Montagabend in Hannover – sondern ein Geschenk. Am frühen Abend des 12. Mai 2025 spielten Skunk Anansie im Kleinen Sendesaal des NDR eine exklusive Akustik-Show im Rahmen der renommierten Konzertreihe stars@ndr2 – Songs & Stories. 330 Sitzplätze, bestuhlt, verlost. Keine Tickets im Handel, keine Promo-Pakete – wer dabei war, hatte Glück. Und bekam etwas, das sich nicht nachholen lässt: einen Abend voller Wahrhaftigkeit.
Für NDR 2 selbst war es ein besonderer Moment, eine internationale Größe wie Skunk Anansie für diese Reihe zu gewinnen. Seit vielen Jahren überzeugt stars@ndr2 mit persönlicher Atmosphäre und hochkarätigen Gästen: Peter Maffay, Jan Delay, Ina Müller, Zucchero, James Blunt, Maria Mena, Mando Diao – und nun auch Skunk Anansie. Ein Coup. Und ein Abend, der alles hielt, was das Konzept verspricht.
Ein Raum wie ein Resonanzkörper für Emotionen
Der Kleine Sendesaal gilt nicht umsonst als einer der besten Akustikräume Norddeutschlands. Gebaut für Nuancen, gemacht für Stille zwischen den Tönen. Und so war es dieser Raum, der Skunk Anansies Songs in ein völlig neues Licht rückte. Keine Effekte. Kein Pomp. Nur Stimme, Gitarre, Keyboard – und ein Publikum, das bereit war, sich auf alles einzulassen.
Skin – zwischen Rebellion und Verletzlichkeit
Im Mittelpunkt: Skin. Diese Stimme, dieses Charisma, diese ungefilterte Energie. Sie betrat die Bühne mit einer Mischung aus Spiellust und Neugier – wie jemand, der weiß, dass er nichts beweisen muss. Ihre Stimme schwebte, kratzte, explodierte, legte sich dann wieder flüsternd auf die ersten Reihen. Bei „Because of You“ hielt sie das Mikro weit weg vom Mund – und trotzdem vibrierte ihre Stimme durch den ganzen Raum. Kein Effekt. Reine Präsenz.
Zwischen Nervosität, Spontaneität und totaler Freiheit
Zu Beginn wirkt es fast, als müsse sich die Band selbst erst sortieren. Die Atmosphäre ist gelöst, aber spürbar offen. Skin grinst ins Publikum und sagt trocken: „Wenn wir es verkacken, ist es eure Schuld.“ Der Saal lacht – und doch liegt in diesem Satz mehr als nur Ironie. Keine Routine, kein durchgetaktetes Set. Stattdessen wirft die Band die vorbereitete Reihenfolge über Bord, folgt dem Moment, dem Bauchgefühl. Gespielt wird, was sich richtig anfühlt – für die Musiker, für den Raum, für den Abend. Was entsteht, ist ein freier Fluss aus Erinnerungen, Improvisation und Emotionen. Musik als Gespräch, nicht als Konzept.
All das macht diesen Abend so besonders – weil hier nichts glattgezogen, aber alles echt ist. Es zeigt, dass es Bands gibt, die sich trauen, spontan zu sein. Die nicht perfekt sein wollen, sondern präsent. Und genau dadurch werden sie nicht nur sympathisch – sondern vor allem: authentisch.
Ein Abend wie ein Gespräch
Zwischen den Liedern sprechen Skin und Gitarrist Ace offen – über Ex-Freundinnen, gescheiterte Lieben, persönliche Kämpfe, über Südafrika und Nelson Mandela, über Rassismus in den USA. „Wie können sie es wagen?“, sagt Skin leise und fassungslos – ein Satz, der im Saal nachhallt. Kein Pathos. Keine Pose. Nur Haltung. Und Erika Richardson, Ehefrau von Drummer Mark, begleitet die leisen Töne am Keyboard – unaufdringlich und genau da, wo sie gebraucht werden.
Ein Publikum, das zuhört – mit dem Herzen
Die Reaktionen im Saal: konzentriert, bewegt, manchmal stille Gänsehaut, dann wieder Zwischenapplaus, Lachen, vereinzeltes Mitwippen. Einige zücken ihre Handys – filmen, fotografieren, dokumentieren. Doch stets respektvoll. Und der überwiegende Teil? Der hört. Und fühlt. Ganz ohne Filter. Ganz bei der Sache. Ein kollektives Innehalten – so leise und doch so laut.
Knapp eineinhalb Stunden lang führen Skunk Anansie durch ihr Werk – reduziert, aber voller Spielfreude. Die Band wirkt völlig gelöst, spielt sich durch Songs wie „Weak“, „Charity“ oder „Follow Me Down“. Es dominieren die ruhigeren Töne, getragen von der halbakustischen Instrumentierung – und damit auch die Themen: Herzschmerz, gescheiterte Beziehungen, emotionale Brüche. Eine „shitty relationship“ nach der nächsten, wie Skin augenzwinkernd sagt. Dann lacht sie und schaut ins Publikum: „Und ihr dachtet, wir sind eine politische Band.“ Ein Satz wie dieser fasst den Abend perfekt zusammen – persönlich, ehrlich, mit Haltung, aber ohne Pathos. Menschlich eben.
Ein Vorgeschmack auf The Painful Truth
Ein einziger neuer Song schafft es an diesem Abend ins Set – und gerade deshalb wirkt er umso kraftvoller. Mit „Lost and Found“ geben Skunk Anansie einen ersten, leisen Einblick in ihr kommendes Album The Painful Truth, das am 23. Mai erscheint. In der halbakustischen Version entfaltet der Song eine besondere Tiefe – zurückgenommen, aber eindringlich. Kein lauter Vorbote, sondern ein stilles Versprechen. Skunk Anansie zeigen auch hier: Sie müssen nichts beweisen – sie erzählen. Und das Publikum hört genau hin.
Ein Abend fürs Radio – und für die Ewigkeit
Das Konzert wurde aufgezeichnet und wird bald als NDR 2 Radiokonzert ausgestrahlt. Für viele Hörer wird es eine seltene Gelegenheit, Skunk Anansie so intim zu erleben. Doch was man im Radio hören kann, war im Saal spürbar: die Nähe, die Verletzlichkeit, die spontane Magie, die sich nicht einfangen lässt. Man muss dabei gewesen sein, um es wirklich zu begreifen.
Wie ein „Unplugged“, das nicht MTV, sondern das Leben geschrieben hat
Skunk Anansie haben sich an diesem Abend nicht gefeiert – sie haben sich gezeigt. Ohne Bühnenpose, ohne Verstärkerwände, ohne Schutzschichten. Sie haben gespielt, was echt ist. Gesprochen, was gesagt werden musste. Und berührt – nicht durch Lautstärke, sondern durch Wahrhaftigkeit.
Es war ein Abend wie ein flüchtiger Blick ins Innere. Wie ein Tagebucheintrag in Musik. Und wie der Beweis, dass Rock’n’Roll manchmal dann am stärksten ist, wenn er sich leise macht. Ganz nah. Ganz echt. Ganz groß.