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Ein Stadion, eine Band, ein Beben – Die Scorpions feiern sich und Hannover

Manche Konzerte brennen sich ein – nicht nur ins Gehör, sondern tief ins kollektive Bewusstsein. Wenn eine Band wie die Scorpions zum ersten Mal in ihrer sechs Jahrzehnte langen Karriere ein eigenes Stadionkonzert in ihrer Heimatstadt Hannover spielt, ist das mehr als ein Abend. Es ist Heimkehr, Gänsehaut und ein Kapitel Musikgeschichte – geschrieben von 45.000 Menschen und fünf Legenden.

Ein Stadion, das bebt – eine Stadt, die atmet

Schon Stunden vor Konzertbeginn liegt ein Knistern in der Luft. Es ist nicht nur Vorfreude, es ist Erwartung, fast Ehrfurcht. Vor den Toren der Heinz von Heiden Arena versammeln sich zehntausende Fans, die meisten mit Jahrzehnten Scorpions-Geschichte im Gepäck. Aus ganz Deutschland, aus Europa, aus aller Welt sind sie angereist. Doch das hier ist nicht irgendein Festival – es ist das erste große Heimspiel der größten Rockband, die Hannover je hervorgebracht hat.

Die Arena wird zur Heimat, zur Zeitkapsel, zur Bühne für etwas, das sich größer anfühlt als jede Setlist. Die Geschichte dieser Band – gegründet 1965 von Rudolf Schenker in Sarstedt – kehrt dorthin zurück, wo sie ihren Anfang nahm. In die Stadt, in der sie einst mit einem klapprigen Tourbus zu ersten Gigs aufbrach. Jetzt stehen sie hier – mit einer Weltkarriere im Rücken und der eigenen Stadt zu Füßen.

Rosy Vista: Frauenpower mit Wurzeln und Würde

Den Auftakt macht Hannovers erste und bis heute wohl bekannteste reine Frauenrockband Rosy Vista. Gegründet in den 1980ern, steht die Band um Andrea Schwarz noch immer mit messerscharfer Präzision und ungebremster Kraft auf der Bühne. Die Setlist – darunter „I Can’t Live Without My Radio“, „I Wanna Get You Back“, „Master of Control“, „Too Much Feeling“, „Addicted to Freedom“ und „Poor Rosy“ – verbindet zeitlosen Hardrock mit Biss und Charakter.

Anca Graterol liefert Riffs mit Schärfe, die Band wirkt fokussiert, die Reaktionen aus dem Publikum sind laut und respektvoll. Ein Auftritt, der zeigt: Relevanz vergeht nicht mit den Jahren, sondern wächst mit der Geschichte.

Fotos: Holger Bücker – Music2See


Bülent Ceylan & Band: Kilt, Krach und Kabarett

Zweiter Anheizer des Tages ist Bülent Ceylan, Comedian aus Mannheim mit Heavy-Metal-Ambitionen. Ganz in Schwarz, im Kilt zur Lederjacke, erklärt er gleich zu Beginn: „Ich hab hart Bock auf Hard Rock!“ – und das meint er ernst.

Mit Songs wie „Yallah Hopp“, „Schmutzige Liebe“, „Wenn Metaller traurig sind“, „Rüstung aus Hass“, „Wohin du gehst“, „Anders gleich“, „Ich liebe Menschen“, „Brüder“ und dem finalen „Booom“ zeigt er, dass seine Musik weit mehr ist als bloßes Beiwerk. Zwischen Metal und Kabarett bringt er eine eigene Note ein – direkt, unterhaltsam und immer nah an den Leuten.

Dazwischen feuert er mit trockenem Humor und Alltagsbeobachtungen, die genau dort ankommen, wo sie hingehören: mitten im Publikum. Seine Parodien auf Metal-Klischees und Festival-Erlebnisse treffen den Nerv, ohne sich aufzudrängen. Keine Nummer fürs Pausenprogramm – sondern ein echter Slot, der den Tag mitprägt.

Fotos folgen

Fotos: Holger Bücker – Music2See


Alice Cooper: Der dunkle Fürst des Rock inszeniert ein Theater der Extreme

Ein übergroßer Vorhang im Look einer Boulevardzeitung spannt sich vor die Bühne, darauf reißerische Schlagzeilen über Alice Cooper. Kein Knall, kein Fall – sondern ein gezielter Moment: Cooper tritt durch den Vorhang hindurch, als würde er aus seiner eigenen Geschichte herausbrechen. Und plötzlich ist er da – mit Zylinder, Kajal, Zwangsjacke und der Aura eines Mannes, der den Rock’n’Roll nie nur gespielt, sondern inszeniert hat.

Schon „Welcome to the Show“ macht klar: Hier geht es nicht um Nostalgie, sondern um eine Inszenierung, die auch heute noch funktioniert. Die Setlist ist ein Rückgrat aus Klassikern: „No More Mr. Nice Guy“, „I’m Eighteen“, „Under My Wheels“, „Bed of Nails“, „Billion Dollar Babies“, „Hey Stoopid“, „Go to Hell“, „Poison“ – jeder Titel inszeniert, choreografiert, mit theatralischer Präzision dargeboten.

Das „Black Widow“-Segment mit dem Solo von Nita Strauss sorgt für eine instrumentale Glanzleistung. Ihr Spiel ist virtuos, ihre Präsenz elektrisierend – ein Beweis, wie modern Alice Coopers Bandbesetzung agiert. Dann die legendäre Sequenz: Cooper in der Zwangsjacke bei „Ballad of Dwight Fry“, kriechend, schreiend, wahnsinnig – ehe er bei „Killer“ zur Guillotine geführt wird. Die Szene endet mit einem symbolischen Fallbeil – und einem Comeback.

Zum Finale wird mit „School’s Out“ gefeiert, inklusive Anspielungen auf „Another Brick in the Wall“ – ein cleverer Brückenschlag zwischen Rebellion und Ritual. Die Bandmitglieder werden vorgestellt, Luftballons regnen auf die Menge. Als Zugabe folgt „Feed My Frankenstein“, bei dem ein gigantisches Monster über die Bühne stapft.

Alice Cooper beweist: Die große Rockshow lebt. Und sie wird nicht kleiner – sie wird größer, je öfter man sie neu erfindet.

Alice Cooper Setlist Heinz von Heiden Arena, Hanover, Germany 2025, Too Close for Comfort


 Judas Priest: Der Stahl pulsiert, der Metal lebt

Mit einem donnernden Intro von Black Sabbaths „War Pigs“ vom Band beginnt der nächste Akt des Abends – und es wird klar: Jetzt geht es um nichts weniger als den Kern des Heavy Metal. Die Spannung im Stadion steigt, die ersten Fans recken die Pommesgabel in den Himmel. Dann betreten Judas Priest die Bühne – und entfesseln ein Gewitter aus Energie und Präzision.

Rob Halford steht da, ganz in Schwarz, mit Sonnenbrille, stoischer Miene und einer Stimme, die auch nach über fünf Jahrzehnten auf der Bühne nichts eingebüßt hat. „All Guns Blazing“ eröffnet das Set, gefolgt von „Hell Patrol“ – messerscharf, druckvoll und unnachgiebig.

An den Gitarren: Richie Faulkner und Andy Sneap, ein Duo mit klarem Auftrag. Ihre Riffs schneiden durch die Arena, während Ian Hill stoisch den Bass vibrieren lässt. Scott Travis sitzt an den Drums wie ein Dirigent des Donners – präzise, kraftvoll, unermüdlich.

Bei „You’ve Got Another Thing Comin’“ kocht die Menge. „Freewheel Burning“ schaltet nochmal einen Gang hoch, und als das Riff zu „Breaking the Law“ einsetzt, wird aus 45.000 Kehlen ein einziger Chor. Der Song ist keine Pflichtnummer – er lebt, atmet, marschiert.

„A Touch of Evil“ bringt düsteres Flair, „Night Crawler“ rollt wie ein Gewitter über das Stadion hinweg. Mit „Solar Angels“, „Gates of Hell“ und „Between the Hammer and the Anvil“ zeigen Judas Priest, dass sie weit mehr sind als nur eine Retro-Maschine. Sie sind aktuell, präsent und auf den Punkt.

Und dann: das Brummen. Die Menge erkennt es sofort – Halford fährt auf einer Harley-Davidson auf die Bühne. Kein Showeffekt, sondern ein Ritual, das seit Jahrzehnten dazugehört. Danach explodiert „Painkiller“ in Licht, Sound und Geschwindigkeit – ein Orkan aus Screams und Doublebass.

In der Zugabe gibt es „Hell Bent for Leather“ und „Living After Midnight“ – zwei Hymnen, die alles abrunden. Kein Bombast, keine Pyro – nur die pure Kraft des Metals.

Judas Priest sind nicht einfach eine Legende. Sie sind eine funktionierende, glaubwürdige, unermüdlich treibende Band. Auch nach all den Jahren – oder gerade deshalb.

Judas Priest Setlist Heinz von Heiden Arena, Hanover, Germany 2025, Shield of Pain


Scorpions: 60 Jahre Rockgeschichte – ein Heimspiel als Meilenstein

Coming Home – passender hätte der Auftakt nicht sein können

Die Scorpions sind zurück. Nicht einfach irgendwo, sondern genau dort, wo alles begann: in Hannover. Sechs Jahrzehnte nach ihrer Gründung stehen sie zum allerersten Mal mit einer eigenen Show im großen Stadion ihrer Heimatstadt. Die Kulisse: 45.000 Menschen. Die Bedeutung: nicht in Worte zu fassen.

Als der Opener „Coming Home“ erklingt, ist sofort klar: Dieser Abend ist mehr als ein Konzert. Er ist ein Heimkommen mit offenen Armen, ein Wiedersehen, ein monumentales Kapitel Bandgeschichte – geschrieben in Tönen, Licht und Erinnerungen.

Schon in den ersten Minuten wird die Bühne zum Schauplatz einer gewachsenen Banddynamik. Rudolf Schenker, der unermüdliche Architekt der Scorpions, schleudert die Riffs seiner Flying-V wie eh und je ins Publikum. Matthias Jabs brilliert mit melodischem Feingefühl und messerscharfen Soli, Paweł Mąciwoda liefert ein tiefes Fundament mit absoluter Kontrolle. Mikkey Dee peitscht die Band mit Präzision und Kraft durch das Set – wie ein Motor aus Stahl.

Im Mittelpunkt: Klaus Meine, 77 Jahre alt, aber präsent, klar und emotional. Nicht jeder Ton ist perfekt – aber jeder trägt Gewicht. Diese Stimme hat Geschichte geschrieben. An diesem Abend wirkt sie greifbarer denn je.

Das ganze Stadion als Teil der Show

Die Besucher sind nicht nur Publikum – sie sind Teil der Inszenierung. Beim Einlass erhalten alle LED-Armbänder, die während des gesamten Konzerts in wechselnden Farben leuchten und sich synchron zur Musik steuern lassen.

Was entsteht, ist ein flackerndes, atmendes Meer aus Licht – bei Balladen sanft, bei Rockhymnen pulsierend. Die Bühne reicht bis tief in den Innenraum, jeder Winkel des Stadions wird eingebunden, jede Bewegung der Band spiegelt sich in der Masse.

Sechs Jahrzehnte, ein Bogen

Die Setlist spannt einen weiten Bogen: Mit „Gas in the Tank“ ist auch das aktuelle Album Rock Believer vertreten, daneben Klassiker wie „Make It Real“, „The Zoo“, „Tease Me, Please Me“ oder „Loving You Sunday Morning“.

Dann nimmt die Band das Publikum mit auf eine Reise zurück in die eigenen Anfänge. Ein Medley aus frühen Songs wie „Top of the Bill“, „Steamrock Fever“ und „Speedy’s Coming“ schlägt den Bogen in die 70er – roh, direkt, voller Biss. Auch diese Stücke funktionieren live – nicht nur als Zitat, sondern als fester Bestandteil des heutigen Sets.

Send Me an Angel – ein stiller Gruß

Ein besonderer Moment: Klaus Meine widmet „Send Me an Angel“ dem verstorbenen Konzertveranstalter Wolfgang Besemer, der die Scorpions über Jahrzehnte begleitet hat. Kein großes Pathos – aber spürbare Dankbarkeit. Das Stadion wird ruhig, fast andächtig.

Mit „Wind of Change“ folgt einer der bedeutendsten Songs der Rockgeschichte – angepasst, entschlackt, auf Frieden und Freiheit reduziert. Und 45.000 singen ihn mit, Zeile für Zeile.

Ein Finale für die Bücher

Mit „Still Loving You“ wird es noch einmal emotional, bevor „Rock You Like a Hurricane“ das große Finale einläutet. Feuerfontänen auf der Bühne, ein riesiger Skorpion aus Licht – und darüber ein Feuerwerk auf dem gesamten Stadiondach. Farben, Funken, Donner, Applaus.

Besser hätte diese Show nicht enden können.

Festgehalten für die Ewigkeit

Diese Show wird nicht verblassen – sie wurde mitgeschnitten und erscheint am 14. November als Live-CD und wohl auch auf DVD. Für alle, die dabei waren, ist sie ein Erinnerungsstück. Für alle anderen: die Chance, einen der größten Abende deutscher Rockgeschichte nachzuerleben.